Naturpark Puez-Geisler vom 07.09.1994 - 10.09.1994
Dolomitenzauber in den "Bleichen Bergen" und kaputte Knie.
Wieder schlechtes Wetter, wieder kein
Watzmann, jedes Jahr dasselbe Theater. Er kann sich uns nicht
ewig verweigern, wir werden ihn unterkriegen, früher oder
später.
Nach kurzer Beratung schlug Reinhard vor, die wegen schlechten
Wetters abgebrochene Villnösstal-Tour vom Oktober 1990 zu vollenden. Das war ein guter Vorschlag, und so
freuten wir uns auf ein Wiedersehen mit den Geislerspitzen, der
Schlüterhütte, auf Günther den Hüttenwirt und vielleicht
trafen wir auch Jürgen König, den König der Medalgesalm..
1) Mittwoch, 07. September 1994 (Niefern - Fernpass - Brenner - Grödner
Tal (Wolkenstein) - Regensburger Hütte)
Abfahrt in Niefern um 7.10 Uhr,
Brenner 12.30 Uhr (413km), Ankunft in Wolkenstein 13.45 Uhr
(500km).
Von Wolkenstein aus fuhren wir eine kleine steile Straße hinauf
zum Ortsteil Danuei (1643m). Wir parkten das Auto auf einem
öffentlichen Parkplatz und machten uns um 14.15 Uhr auf den Weg
zur Regensburger Hütte. Der Aufstieg zur Hütte erwies sich als
stark frequentierter Touristenpfad. Kurz vor der Hütte hörten
wir plötzlich mehrere Schüsse. Wir witzelten über die
Eröffnung der Touristenjagdsaison, waren aber bereit, bei
Gefahr, sofort in die nächsten Büsche zu verschwinden. Bereits
um 15.30 Uhr standen wir plötzlich und unerwartet vor der
Regensburger Hütte (Geislerhütte, Rifugio Firenze in Cisles,
2040m) und auch die Schüsse klärten sich auf. Neben der Hütte
stand ein Mann in Tracht, schwang eine lange Peitsche und ließ
sie zu unserem Empfang ordentlich knallen.
Wir erhielten ein Doppelzimmer mit Waschgelegenheit. Die
Knallerei ging wieder los und drei Alphornbläser bliesen dazu
aus vollen Backen. Wir erfuhren, dass das Spektakel für einen
Verein organisiert wurde, der auf der Regensburger Hütte
eingekehrt war, deshalb auch die vielen Leute. Als wir von der
Vorstellung genug hatten, machten wir noch einen kurzen
Spaziergang zum nahen Col Raiser, einer Seilbahnstation, die
unermüdlich Touristen ausspuckte.
Die Regensburger Hütte war nach unserer Rückkehr wesentlich
leerer und so genehmigten wir uns auf der gemütlichen Terrasse
einen Kaffe mit Apfelstrudel und schrieben einige Karten. Das
Wetter sollte morgen bis zum Mittag stabil bleiben, also stand
für uns fest: Saas Rigais Klettersteig. Um 18.30 Uhr gab es
Abendessen, das uns überhaupt nicht überzeugte. Andere Gäste
schwärmten vom Essen auf der Gampenalm, die wir ja von 1990
kannten. Eigentlich wollten wir morgen zu Günther auf die
Schlüterhütte, aber warum sollten wir nicht fremdgehen, bei so
einer Werbung! Um 22.00 Uhr suchten wir unser komfortables
Doppelzimmer auf und schliefen gut und erholsam.
2) Donnerstag, 08. September 1994 (Regensburger Hütte - Saas Rigais -
Gampenalm)
Wir sind um 6.30 Uhr aufgestanden
und waren nach einem Standardfrühstück bereits um 7.45 Uhr
unterwegs zum Saas Rigais. Das Wetter war nicht schlecht,
bewölkt aber sonnig. Über die Hänge der Tschislesalpe
gelangten wir zu dem mit Felsbrocken übersäten Pian Ciantier
(2263m). Von hier aus konnte man entweder die linke Route über
die Mittagsscharte zum Gipfel des Saas Rigais wählen, oder die
schwierigere Variante durch das Wasserrinnental und über den
Ostgrat zum höchsten Punkt. Wir entschieden uns für den
Ostgrat, den Weg der Erstbegeher (Heß, Schmitt, Schulz, 1888).
Diese Route wird mit dem Schwierigkeitsgrad 1., einige Stellen
mit 2., in der Führerliteratur angegeben.
Durch das Wasserrinnental führte der Weg hinauf in die große
Scharte (Forcella Salieres, 2714m), zwischen Saas Rigais und der
Furchetta ( lateinisch forca=Gabel, 3030m). Hier begann der
eigentliche Klettersteig. Für die nächste Passage sollte man
etwas klettern können, man findet nur Steigspuren und das
Gelände ist ziemlich steil. Das Wetter hatte sich gebessert, die
Gipfel waren plötzlich wolkenfrei. Nun folgte ein kurzer Abstieg
und wir kamen zum ersten Eisen. Metallklammern und ein Drahtseil
leiteten uns durch Rinnen und über Bänder bis zum Gipfel. Um
10.15 Uhr waren wir am höchsten Punkt (3027m) angelangt. Wir
genossen die fantastische Aussicht. Der hinter Teil des Saas
Rigais fällt sicher 800m senkrecht ins Villnösstal ab. Eine
gigantische Wand! Um 11.00 Uhr machten wir uns an den
beschwerlichen Abstieg. Wir nahmen nicht unsere Aufstiegsroute,
sondern machten eine Gipfelüberschreitung. Über einen
brüchigen Grat, stellenweise ausgesetzt, gelangten wir zu einem
Vorgipfel, ab hier ging es dann steil am Drahtseil bergab. Jetzt
kamen uns viele Leute entgegen, und wir waren froh, dass wir so
früh auf dem Gipfel waren und ihn für uns alleine hatten.
Erst um 13.00 Uhr erreichten wir die Mittagsscharte (2597m). Wir
froren etwas, die Sonne hatte sich versteckt und ein kühler Wind
machte sich bemerkbar. Wir hielten uns nicht lange auf und
machten uns an den brutalen 700m Abstieg hinunter zum
Adolf-Munkel-Weg im Villnösstal. In vielen Kehren ging es auf
losem Geröll hinunter ins Tal und ich ärgerte mich, dass ich
meine Stöcke zu Hause gelassen hatte. Um 14.00 Uhr waren wir
unten am Adolf-Munkel-Weg. Ich hatte weiche Knie, eine leere
Trinkflasche, gewaltigen Durst und die Nase für heute gestrichen
voll. Wir kamen an der Gschnagenhardtalm vorbei und der
Aufstieg zur Forcella Pradel (2017m), forderte unsere letzten
Reserven. Der Weg war landschaftlich wunderschön. Um 16.00 Uhr
kamen wir dann doch noch trocken bei der Gampenalm an. Neben dem
alten Gebäude war ein schmucker, kleiner Berggasthof entstanden.
Wir erhielten Quartier im alten Gebäude. Beim Hinübergehen
merkte ich, wie stark meine Knie schmerzten, ich hatte ihnen
heute zuviel zugemutet. Eine warme Dusche, nach so einer langen
und anstrengenden Wanderung, erweckte neue Lebensgeister in uns.
Ich musste dabei an eine Passage aus Jürgen Königs Buch
Medalges denken, als er in Bruneck im Hotel, auf einem
Plastikstuhl sitzend, die halbe Nacht durchgeduscht hatte.
Anschließend gab es den obligatorischen Apfelstrudel mit Kaffee.
Es war der beste Strudel, den ich je in meinem Leben gegessen
hatte. Er schmeckte fein nach Zimt, war noch leicht warm und
wirklich eine Delikatesse. Der Mann an der Theke kam uns sehr
bekannt vor, es war Günther, der Wirt von der Schlüterhütte.
Er konnte sich nicht mehr an uns erinnern und war auch sonst
recht wortkarg. Draußen regnete es in Strömen.
Um 18.00 Uhr gab es Abendessen. Wir entschieden und für
Kasnocken mit einem großen, gemischten Salat. Die Nocken waren
noch besser als auf der Schlüterhütte. Die Gampenalm ist
wirklich eine fantastische Unterkunft. Später setzten sich noch
die Pächter (Peter und Franz) zu uns, spendierten uns eine
Flasche Cabanet Rotwein und erzählten uns über ihre Probleme.
Draußen regnete es noch immer heftig, meine Knie taten mir weh,
aber trotzdem war es ein gemütlicher Hüttenabend. Um 22.00 Uhr
gingen wir ins Nebengebäude um zu schlafen. Es regnete weiter,
und über dem Weg ergoss sich ein kleiner Bach.
3) Freitag, 09. September 1994 (Gampenalm - Roa Scharte - Puezhütte)
Bei leichtem Nieselregen machten
wir uns um 8.45 Uhr auf den Weg zur Puezhütte. Bald
waren wir am Bronsoijoch (2421m) und nach
einer Stunde ab der Schlüterhütte, entdeckten wir auf der
Medalgesalm, kurz vor dem Kreuzjoch, eng an den Hang geduckt,
Jürgens Funkelalm. Hier hatte er ein ganzes Jahr verbracht und
darüber das Buch Medalges geschrieben. Auf der Hüttenwand hatten viele
Touristen ihre Visitenkarte hinterlassen. Eine Inschrift hatte
mir besonders gut gefallen, dort stand:" Vielen Dank für
Dein Buch Jürgen".
Wir setzten unsere Wanderung fort und liefen hoch zum Kreuzjoch.
Das Wetter wurde besser, einzelne Sonnenstrahlen hellten auch
unser Gemüt auf. Bergauf ging es ja einigermaßen mit meinen
Knien, aber ich war gespannt, was nach der Roa Scharte kam, beim
unvermeidlichen Abstieg. Die letzten 100 Höhenmeter zur Scharte waren ganz
schön giftig. Um 12.00 Uhr waren wir endlich oben. Die Roa
Scharte (2617m) befindet sich zwischen der Furchetta und dem Piz
Duleda. Hier fiel mir die Sage von der Medalgesalm ein, wo sich
der Hirte Arnold in die zwei schönen Frauen Doledo (Piz Duleda)
und Odlana (Odles, ladinisch für Geisler) verliebte, die alle
hundert Jahre für sieben Jahre die Menschen besuchten. Nach den
sieben Jahren verzauberten sie Arnold und nahmen ihn für immer
mit in ihr Felsenreich.
Eigentlich wollten wir über die Via Ferrate Duleda zur
Puezhütte wandern, aber das schlechte Wetter und meine
angeschlagene Knie machten uns einen Strich durch die Rechnung.
Jenseits der Forcella Roa senkte sich der Weg ins grandiose Val
della Roa. Nach der Siellesscharte (2505m) ging es über den
stellenweise luftigen Siellesgrat, der an drei Passagen
Drahtseilsicherungen aufwies. Während der nächsten Stunde
wanderten wir im strahlenden Sonnenschein fast eben auf dem
breiten, südseitigen Balkon der Puezalpe nach Osten. Bevor der
Weg Nr.4 aus dem Langental auf unseren Weg Nr.2 traf, machten wir
ein halbstündige Pause. Beim Weitergehen fiel mir das
buntgeschichtete Gestein auf, das hier in großen Mengen entlang
des Weges zu finden war. Im Puezgebiet lagern über der Sohle aus
Dachsteindolomit Gesteine der mittleren Jurazeit und darüber
grünlichgraue bzw. braunrötliche weiche Mergelschichten aus der
Kreidezeit. Um 15.30 Uhr erreichten wir endlich die Puezhütte
(2475m). Unterhalb des Puezkofels (2723m), an aussichtsreicher
Stelle gelegen, ist sie ein bedeutender Stützpunkt in wichtiger
Lage. Neben der winzigen, alten Puezhütte steht seit 1982 ein
moderner Neubau.
Wir erhielten Schlafplätze im Lager, im zweiten Stock unter dem
Dach. Unsere traditionelle Kaffeepause mit Apfelstrudel war
diesmal ein Reinfall. Reinhard machte noch einen kleinen
Spaziergang, ich verzichtet lieber. Selbst das Treppensteigen in
der Puezhütte war für meine Knie eine Tourtour.
Das grandiose Plateau der Sella uns gegenüber, und rechts davon
der imposante Langkofel, stellen sich in der Abendsonne fotogen
zur Schau. Bis zum Abendessen um 18.30 Uhr verlief der Nachmittag
etwas zäh, Jürgen würde sagen, es war ein
"Lavanachmittag". Zur Abwechslung spielten wir noch
einige Partien Schach. Spielkarten ersetzten das fehlende Brett,
Improvisation ist alles!
Nach dem Abendessen, mit dem wir überhaupt nicht zufrieden
waren, kleine Portionen und nicht sehr schmackhaft, unterhielten
wir uns noch einige Zeit mit anderen Wanderern und spielten bis
22.00 Uhr "Hol's der Geier". Durch das Dachfenster
konnte ich die Sterne sehen, hoffentlich gute Wetteraussichten
für morgen.
4) Samstag, 10. September 1994 (Puezhütte - Grödner Joch -
Wolkenstein - Bruneck - Niefern)
Um 7.30 Uhr gingen wir zum
Frühstücken. Ich humpelte mit starken Schmerzen die Treppen
herunter. Mein einziger Gedanke war: Hoffentlich schaffe ich es
bis zum Grödner Joch. Das Frühstück war eines der
schlechtesten, das wir in unserer Wanderlaufbahn geboten bekamen:
Eine altbackene Semmel, eine kleine Butter, eine kleine Marmelade
und 1,5l Teewasser, für unverschämte 15.000Lire!!
Um 8.45 Uhr machten wir uns auf die Socken. Der größte Teil
unserer heutigen Etappe führte wie gestern über den
Dolomitenweg Nr. 2. Zuerst wanderten wir hoch über dem
Talschluss des Langental, mit atemberaubendem Tiefblick und
wunderbarer Aussicht nach Wolkenstein. Unserer Meinung nach hat
der Ort diesen Namen zurecht. Begeistert beobachteten wir, wie
gewaltige Wolkenberge aus dem Langental quollen und entlang der
Felsen gen Himmel strebten.
Im gemütlichen auf und ab marschierten wir über die
Crespeinahochfläche. Das Wetter wurde immer besser. Die Sonne
schien vom blauen Himmel und es wurde immer wärmer. Etwa 1.5
Stunden nach der Puezhütte erreichten wir den sagenumwobenen
Crespeinasee (Drachensee, 2374m). Die umliegenden Berge
spiegelten sich in seinem klaren, blauen Wasser. Wir konnten die
Geislergruppe mit dem Saas Rigais erkennen, den markanten
Puezkogel und in unserm Rücken befanden sich die Schuttkegel der
Puez- und Gardenacciahochfläche, die das ganze Gebiet wie eine
Mondlandschaft erschienen ließen. Es sah schon recht eigenartig
aus, eine riesige Hochebene, mit 3-4 kegelartigen Schutthügeln.
Vom kleinen Lago di Crespeina stiegen wir in steilen Kehren auf
schmalem Pfad in 1/4 Stunde hinauf zum zugigen Crespeinajoch
(2528m). Ein beachtenswertes, hölzernes Kruzifix stand am
Scheitelpunkt des Passes. Um 10.30 Uhr waren wir endlich
oben. Ich stieg über den Zaun und plagte mich die vielen
Kehren abwärts. Am Tschierjoch (2466m) schlug ich Reinhard vor,
heute mit der Seilbahn vom Grödner Joch nach Wolkenstein zu
fahren und dann die Tour abzubrechen. Ich hatte keine Lust mehr
mit kaputten Knien weiterzugehen. Er willigte sofort ein. Am
Grödner Joch waren wir wieder bei den Menschenmassen und in der
Zivilisation. Uns gegenüber die gewaltige Sellagruppe. Ein
Massiv wie eine Trutzburg, eine gigantische Berggestalt mit
markanten Gipfeln und Plateaus.
Um 12.00 Uhr erreichten wie die Bergstation bei der Clarkhütte.
Wir bezahlten 8.000 Lire und konnten gleich einsteigen. Ich war
froh, die 600 Höhenmeter nicht meinen angeschlagenen Knien
zumuten zu müssen. In Wolkenstein fanden wir am Anfang zum
Langental ein nettes Lokal, fast gegenüber der Ruine
Wolkenstein. Nach einem feinen Essen und einem Stück Kuchen zum
Nachtisch, machten wir uns an den kurzen Aufstieg zum
Autoparkplatz, den wir um 13.30 Uhr erreichten.
Um 14.00 Uhr fuhren wir los. Wir wollten über das Grödner Joch
nach Bruneck fahren. Das war die längere Strecke zur Autobahn,
aber bei diesem schönen Wetter wollten wir noch etwas von dieser
tollen Gegend sehen. Kurz vor dem Grödner Joch schlängelte sich
die Straße eng an den Fuß des Sellasockels geschmiegt, entlang
der gigantischen, unnahbaren Ringmauer dieser
Gebirgsgruppe. Die steilen Wände strebten fast senkrecht
400-500m in die Höhe und erdrückten mit ihren Ausmaßen den
Autofahrer in seinem kleinen Gefährt. Wir waren uns einig, eine
unserer nächsten Touren bringt uns in die Sella.
Wir kamen am bekannten Wintersportort Kolfuschg vorbei und
machten in Covara noch eine kleine Pause. Die Strecke von Covara
nach Bruneck zog sich gewaltig in die Länge, das Sträßchen war
nicht sehr breit und es gab viel enge Kurven. Um 18.00 Uhr
erreichten wir den Fernpass und in Weizern im Allgäu hatte zum
Glück noch die Käserei geöffnet, sodass wir einige
Käsemitbringsel einkauften konnten. Erst um 21.30 Uhr fuhren wir
müde in Niefern ein.
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